Das Frühstück im Grünen

Das Frühstück im Grünen (1959) gehört zu den weniger bekannten Werken Jean Renoirs. Dem Namen nach orientiert sich der Regisseur in seinem Spätwerk am gleichlautenden Gemälde von Édouard Manet (1862/63). Tatsächlich aber ist der Film eine Hommage an seinen Vater Pierre-Auguste Renoir. Anders formuliert: Fängt sein Vater das flirrende Licht und die ursprüngliche Lebenslust des französischen Südens mit Pinsel und Ölfarbe ein, tut es ihm sein Sohn mit der Kamera gleich. Der Begriff Filme Malen kommt hier seiner wörtlichen Bedeutung am nächsten.

Das Frühstück im GrünenÉdouard Manet: Das Frühstück im Grünen (1862/63)   Public Domain

Die Handlung des Films tritt hinter seine visuelle Ästhetik zurück. Die Geschichte ist schnell erzählt: Ein berühmter Biologe und Europa-Politiker will der Welt mit Hilfe der künstlichen Befruchtung zu einer besseren Zukunft verhelfen. Bei einem Picknick anlässlich seiner Verlobung lernt er eine junge Frau vom Land kennen und gibt sich der natürlichen Liebe hin. „Der in Renoirs Œuvre immer wiederkehrende zentrale Konflikt von Ordnung und Unordnung wird hier anhand des Widerstreits von Wissenschaft und Natur ausgetragen; die Kraft der Sinnlichkeit und die Lebensfreude triumphieren über den wissenschaftlichen Fortschritt.“ (Arsenal 2007)

Im Gegensatz zu den sowjetischen Filmemachern der 20er und 30er Jahre legt Renoir weniger Wert auf die Montage als auf die Bildkomposition und die Bewegung der Kamera. Die Kadrierung der Einstellungen ist geprägt von einer starken Gliederung der Ebenen. Dadurch wird sein großes Interesse sowohl an den Menschen als auch an der sie umgebenden Landschaft deutlich. „Seine Faszination für die Wirklichkeit und die Natur ist legendär, wenn auch häufig als simpler Realismus missverstanden worden.“ (Arsenal 2007) Tatsächlich kann das Frühwerk Renoirs dem Poetischen Realismus der 30er und 40er Jahre zugeordnet werden, der geprägt ist von Realitätsnähe und sozialkritischen Inhalten.

Das Frühstück der RudererPierre-Auguste Renoir: Das Frühstück der Ruderer (1880/81)   Public Domain

Das Frühstück der Ruderer (1880–81) von Pierre-Auguste Renoir dient als Vorlage für die Übertragung des Malstils auf die Frühstückssequenz von Jean Renoirs Film. Das Gemälde zeigt die Ruderer und deren Freunde beim gemeinsamen Frühstück. Während die Schalen und Gläser im Vordergrund nahezu wie Stillleben wirken, strahlen die Menschen Vitalität und Lebensfreude aus. Die Konversation findet auf unterschiedlichen Ebenen statt – von angeregter und teilnehmender Unterhaltung bis hin zu leichter Abgrenzung. Ganz ähnlich verhält es sich mit der Darstellung der gesellschaftlichen Schichten – die Kleidung reicht von Strohhut und Unterhemd bis zu Zylinder und Frack. „The painting also reflects the changing character of French society in the mid- to late 19th century. The restaurant welcomed customers of many classes, including businessmen, society women, artists, actresses, writers, critics, seamstresses, and shop girls. This diverse group embodied a new, modern Parisian society.“ (Phillips Collection)

Gemalte SequenzGemalte Sequenz

Bereits 1936 greift Jean-Renoir Motive von Das Frühstück der Ruderer in seinem Film Eine Landpartie (une partie de campagne) auf. Der Film erzählt von einem Ausflug aufs Land Anfang der 1880er Jahre, bei dem Mutter und Tochter von zwei Ruderern zu einer Bootsfahrt eingeladen werden. Obwohl der Film in Schwarzweiß gedreht wird, gelingt es dem Regisseur meisterhaft, die sinnliche und emotionale Präsenz der Charaktere auf die Leinwand zu bringen. Jérémy Zucchi führt die erfolgreiche Transformation des impressionistischen Malstils vor allem auf Kameraarbeit und filmische Bewegung zurück. (Zucchi 2014)

Etwas über 20 Jahre später kann Jean Renoir seine Hommage an die Gemälde seines Vaters nicht nur in Farbe umsetzen, sondern dreht Das Frühstück im Grünen auch in Les Collettes an der Côte d’Azur, dem Ort, in dem Pierre-Auguste Renoir die letzten Jahre seines Lebens verbracht hat. Gideon Bachmann bescheinigt dem Film in seiner zeitgenössischen Kritik eine große emotionale Qualität: „Le Déjeuner sur l’Herbe is a unique film – a seemingly effortless pleasantry, impressionistic and yet surreal, full of the unexpected as life is, almost facile in impact but lasting in the perturbations it causes. It is in the true sense a demanding film, but it demands nothing of us save to be ourselves.“ (Bachmann 1960)

Arsenal – Institut für Film und Videokunst: Les règles du jeu – Retrospektive Jean Renoir. 2007.
URL: http://www.arsenal-berlin.de/kino-arsenal/programmarchiv/einzelansicht/article/967/2804//archive/2007/september.html (abgerufen im November 2016)
Bachmann, Gideon: Dejeuner sur l’Herbe. In: Film Quarterly, Vol. XIV, No. 2. Berkeley 1960, 40-41.
The Phillips Collection: Pierre-Auguste Renoir. Luncheon of the Boating Party (1880–81).
URL: http://www.phillipscollection.org/collection/boating-party (abgerufen im November 2016)
Zucchi, Jérémy: Une Partie de campagne, la balançoire impressionniste. 2014.
URL: http://ouvre-les-yeux.fr/unepartiedecampagnejeanrenoir1936labalancoireimpressionniste-1/ (abgerufen im November 2016)