Pulp Fiction

Pulp Fiction (1994) wird oft als Neo-Noir-Film bezeichnet. Tatsächlich weist der Film stilistische Merkmale der Noir-Filme auf; doch es wäre falsch, ihn allein darauf zu reduzieren. Pulp Fiction ist mehr. Für viele Kritiker ist er ein Meisterwerk des postmodernen Kinos, wenngleich in der Filmtheorie kein Konsens darüber herrscht, was nun genau ein postmoderner Film ist und wie er sich von anderen Stilrichtungen abgrenzt. Die Grenzen sind zweifellos fließend, doch gibt es einige ästhetisch-stilistische Merkmale und soziokulturelle Aspekte, die vielen postmodernen Filmen gemeinsam sind. Nach Eder sind sie durch ein Netz ihrer Ähnlichkeiten miteinander verbunden (vgl. Eder 2008, 12).

Auf der Ebene der Narration können postmoderne Filme durch eine nicht-lineare Erzählweise und eine hohe Ambivalenztoleranz gekennzeichnet sein. Widersprüche werden nicht aufgelöst, und extramediale Verweise werden nicht in die Erzähllogik eingebettet. Auf der Ebene der Codes, Zeichen und Zitate kann ein hohes Maß an Intertextualität und Intermedialität festgestellt werden. So gesehen kann das postmoderne Kino auch als „Kino der Zitate“ bezeichnet werden, das unterschiedliche Bedeutungsebenen ermöglicht und über das eigene Medium hinaus verweist. Mit der Doppelkodierung von narrativer Ebene (der Geschichte des Films) und diskursiver Ebene (der Reflexion der Erzählung) können unterschiedliche Zielgruppen bzw. Zuschauertypen adressiert werden (vgl. Bleicher 2008, 113).

Pulp FictionPulp Fiction: Jack-Rabbit-Slims-Sequenz (Filmstandbild)   Fair Use

Darüber hinaus neigt der postmoderne Film zur Übertreibung, zur Ästhetisierung, zu Spektakularität und demonstrativer Künstlichkeit – alles Merkmale, die auch Pulp Fiction eigen sind. Nahezu unerschöpflich sind die Querverweise in Quentin Tarantinos Film: „Pulp Fiction has even more pop culture references, including those to Fonzie, Green Acres, Flock of Seagulls, Pepsi, Big Macs and Quarter Pounders, and the 1970s TV series Kung Fu; Travolta’s dancing is reminiscent of his role in John Badham’s Saturday Night Fever (1977); and, of course, the Jack Rabbit Slim’s scene is full of icons like Ed Sullivan, Marilyn Monroe, and Buddy Holly. Further, Tarantino’s movies very often reference earlier films, and they frequently blend genres in the way described above.“ (Conard 2007, 108)

Pulp FictionPulp Fiction: Jack-Rabbit-Slims-Sequenz (Filmstandbild)   Fair Use

Die intertextuellen Zitate in Pulp Fiction sind vor allem triviale, oberflächliche Verweise auf die Popkultur und die Pop Art: „For all his talent, Tarantino’s ‚hypertext‘ is relatively narrow, made up largely of testos­terone-driven action movies, hard-boiled novels, and pop-art comic strips like Modesty Blaise. His attitude toward mass culture is also much less ironic than that of a director like Godard. In effect, he gives us Coca-Cola without Marx.“ (Naremore 1998, 218)

Zwischen den Zitaten von Pulp Fiction und den bevorzugten Motiven der Pop Art (Konsum, Alltagskultur, Massenmedien, Triviales) gibt es deutliche Übereinstimmungen. Insbesondere in den USA ist die Pop Art als bewusste Abkehr von der abstrakten Kunst (speziell vom abstrakten Expressionismus) zu verstehen. Einer der bedeutendsten Vertreter der Pop Art ist Roy Lichtenstein, der vor allem durch seine großformatigen Comic-Motive berühmt geworden ist. Lichtenstein reduziert seine in den Grundfarben gerasterten Motive auf grundlegende Ausdrucksmuster und eine stark vereinfachte Formgebung (vgl. Osterwold 2003, 184).

M-MaybeRoy Lichtenstein: M-Maybe, 1965   Fair Use

M-Maybe entsteht 1965 nach einer Vorlage der Romance-Comic-Hefte. Das Bild zeigt eine schöne junge Frau, die darüber sinniert, warum sie versetzt wurde: „M–Maybe he became ill and couldn’t leave the studio.“ Trotz des offenen Interpretationsspielraums des Sprechblasentexts wirkt das Bild mit der zur weiblichen Ikone stilisierten Frau emotionslos und statisch-mechanisch. Gleichzeitig bezieht Lichtenstein den Betrachter auf der Suche nach dem tieferen Sinn mit ein: „The relationship between picture an viewer suddenly seems based on false premises. The artificiality of the style corresponds to the stereotyped female image derived from comic books. And also to the cheap sensations this image was designed to elicit in us, which suddenly put us in the role of Pavlov’s dog.“ (Honnef / Grosenick 2004, 52)

Gemalte SequenzGemalte Sequenz

Bleicher, Joan Kristin: Zurück in die Zukunft. Formen intertextueller Selbstreferentialität im postmodernen Film. In: Eder, Jens (Hrsg.): Oberflächenrausch. Hamburg 2008 (2. Aufl.), 113-122.
Conard, Marc T.: Reservoir Dogs. Redemption in a Postmodern World. In: Conard, Marc T. (Hrsg.): The Philosophy of Neo-Noir. Lexington 2007, 101-118.
Eder, Jens: Die Postmoderne im Kino. Entwicklungen im Spielfilm der 90er Jahre. In: Eder, Jens (Hrsg.): Oberflächenrausch. Hamburg 2008 (2. Aufl.), 8-61.
Honnef, Klaus / Grosenick, Uta (Hrsg.): Pop Art. Köln 2004.
Naremore, James: More Than Night. Film Noir in Its Contexts. Los Angeles 1998.
Osterwold, Tilman: Pop Art. Köln 2003.